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Vielseitige Aufklärung über bedrohte Eisbären und das Leben in der Arktis

Von Eckart Roloff

Hier sind Sätze wie diese zu lesen: „Es geht um Eis. Es geht um Leben. Es geht um uns alle. Der hohe Norden ist die vielleicht raueste und härteste Umgebung der Erde.“ Und eine Seite weiter: „Dieses Buch erzählt nicht nur von Eisbären. Es handelt von uns allen. Was in der Arktis geschieht, betrifft das Leben auf dem gesamten Planeten.“

Dies ist so kurz und knapp wie eindringlich und apodiktisch gefasst. Es stellt etwas fest, ist sich seiner Sache sicher. Solche Worte wissen etwas und warnen vor etwas. Das zielt auf den Klimawandel, auf die Erderwärmung der vergangenen Jahrzehnte. Im Mittelpunkt stehen aber jene starken Tiere, denen die steigenden Temperaturen besonders zusetzen: die Eisbären.

Der Bildband „Das Königreich der Eisbären. Die Zukunft der Arktis“ von Melissa Schäfer (Fotos) und Fredrik Granath (Text) ist eine Übersetzung aus dem Englischen. Er trägt dort den Titel „Polar Tales. The Future of Ice, Life, and the Arctic“ – also ganz ohne Eisbären (oder polar bears).  Als Übersetzer nennt das Impressum Dieter Löffler – er hat offensichtlich perfekte, sehr einfühlsame Arbeit geleistet.

Das Buch bildet die Eisbären wieder und wieder ab, dazu das Land, in dem und auf dem sie leben, gelegentlich auch andere Tiere wie Möwen, Walrosse und Robben, mit denen sie (schmelzendes) Eis und Wasser teilen. Das alles im Großformat und natürlich in Farbe, aus wechselndem Blickwinkel, mit immer neuen Richtungen und Zielen. Eisbären einzeln oder mit ihren Jungen, auch im Trupp, sich räkelnd, ruhend, spielend, suchend, fressend.

Eines ist nicht zu sehen: Die dreieckigen Schilder, die mit dem Zusatz „Gjelder hele Svalbard“ („Gilt für ganz Svalbard“) etwa in Longyearbyen, dem Hauptort Spitzbergens (norwegisch Svalbard), auf die Bären hinweisen. Das ist ein beliebtes Fotoobjekt unzähliger Touristen.

Ich gehörte auch einmal zu dieser Spezies, 1997 war das während einiger Tage in diesem Inselreich. Auch ich konnte nicht widerstehen. Inzwischen sind solche Objekte der Begierde via Internet leicht zu kaufen – als Aufkleber von 5 Euro an oder, viel teurer, in Aluminium.

Ich erfuhr damals auch dies: dass die ForscherInnen, die z. B. im Blauen Haus der Alfred-Wegener-Gesellschaft im frostigen Feld arbeiten, unbedingt ein Gewehr mit sich führen sollen, um gegen angreifende Eisbären gerüstet zu sein. In der Praxis kommt es freilich nur höchst selten zu Attacken.

Im Text heißt es zu diesem Thema: „Viele meinen, Eisbären seien das Gefährlichste in der Arktis. Aber das stimmt nicht. Das Gefährlichste ist die Natur selbst, die Geografie und das Wetter. Sie fordert Respekt und Aufmerksamkeit.“ Dazu steht meiner Ansicht nach in einem gewissen Widerspruch, was der Rückumschlag sagt: „Allein auf dem Eis begegnen sie (= die beiden Autoren) dem gefährlichsten Tier der Erde.“

 Zwei Menschen allein in Kälte und Eis auf Spitzbergen? So scheint es oberflächlich gesehen. Auf der vorletzten Seite aber gibt es eine „Danksagung“ mit Dutzenden von Namen, meist von Freunden und Kollegen, jedoch auch von Verbänden, Instituten und Firmen, die bei der Ausrüstung und der Logistik (darunter Hurtigruten Svalbard) behilflich waren. Zwei allein – nein, das ist unmöglich, das wäre von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Auf 27 Textseiten (von 266 Seiten insgesamt) findet sich viel Aufklärendes und sorgsam Recherchiertes über den Klimawandel und über jene gut erforschten Tiere, von denen 2000 bis 3000 allein auf Svalbard mit seinen Hunderten größerer und kleinerer Inseln leben. Von November bis Februar, während der langen, langen Polarnacht, gibt es dort kein Sonnenlicht.

Eine Bemerkung noch zum Titel des Buches. „Das Königreich der Eisbären“ – das klingt ganz attraktiv und erhaben. Mir ist das zu vermenschlicht, zu majestätisch. Und wer sind die Untertanen dieses Reiches? Ein Buch und ebenso eine Audio-CD von Maja Nielsen mit einem ganz ähnlichen Titel („Im Königreich der Eisbären“) ist übrigens schon seit 2005 und 2008 im Handel. Es mangelt nicht an weiterer Literatur zu diesem Stoff.

Man mag ein ausführliches Literaturverzeichnis vermissen, doch gibt es unter „Quellen und Verweise“ wenigstens einige Angaben zu Studien. Außerdem werden Organisationen wie SeaLegacy, Greenpeace und WWF Deutschland genannt, die sich seit langer Zeit mit einschlägigen Fragen beschäftigen.

Mein Fazit: Ein attraktiver Bildband, kenntnisreich und verständlich geschrieben, mit vielen spektakulären Aufnahmen, den Tieren oft ganz nah. Solide gebunden, gedruckt auf passenden (und wechselnden) Papieren. Mit 49,99 Euro gewiss nicht billig, aber preiswert. Und viel zu schade für kurzes Durchblättern und dann auf Niederwiederlesen ab ins Bücherregal.                                                    ■

Melissa Schäfer und Fredrik Granath: Das Königreich der Eisbären. Die Zukunft der Arktis. Frederking & Thaler, München 2020. 256 Seiten, 49,99 Euro.