Edvards Munchs 26.724 Werke bekamen ein neues Zuhause
Von Sven Otto Rømcke
Jetzt dreht sich in Oslo viel um MUNCH, wie es nun an diesem monumentalen Gebäude geschrieben steht, oder um das Munchmuseet, wie wir gewöhnlich sagen. Es wurde am Freitag, dem 22. Oktober 2021, offiziell eröffnet. Aber ich war dort schon am Dienstag, dem 19. Oktober. Da fanden sich auch viele andere ein, denn das Museum war für die Mitglieder des Munch-Freundeskreises bereits offen. Die Presse folgte erst am Tag nach den Mitgliedern.
Ich war mit einer Bonustochter dort (wer wissen will, was es damit auf sich hat, lese hier nach: https://naob.no/ordbok/bonusdatter). Wir haben fast drei Stunden damit verbracht, die sieben Ausstellungsetagen zu durchqueren. Wir fingen oben an, und das war schlau. Die meisten beginnen in der dritten Etage und gehen dann nach oben. Mit unserer Wahl hatten wir ungefähr in der Hälfte der Etagen nur eine bescheidene Anzahl von Zuschauern um uns herum. Aber dann wurde es dichter.
Im Bett mit Tracey Emin
Ein weiterer Vorteil ist, dass die oberste Ausstellungsetage Bilder aus der Sammlung Stenersen enthält. Dort durften wir Munch-Bilder im klugen Zusammenspiel mit Höhepunkten aus der Stenersen-Sammlung erleben. Es war gut! (Mehr zur Sammlung Stenersen im Text unten.)
Zwei Etagen sind der englischen zeitgenössischen Künstlerin Tracey Emin gewidmet, die Edvard Munch unter dem Titel „The Loneliness of the Soul“ begegnet. Für diejenigen, die leicht beleidigt oder gekränkt sind, bietet das ungemachte Bett von Tracy Emin Möglichkeiten dazu. Aber eigentlich ist es nur eine moderne Version einiger Motive Munchs; sie tritt mit ihm in Dialog.
Dann geht es weiter. Die Werke werden für Munch-Interessierte immer bekannter. Die Säle sind schmuckvoll bemalt; hier haben geschickte Kuratoren gearbeitet. Ich werde wieder hierher kommen, und dann begnüge ich mich mit einer Etage pro Besuch. Jede Etage ist ein Museum für sich. Im Erdgeschoss geben die Treppen und Gemeinschaftsräume ein gewisses Flughafen-Gefühl. Aber das ist vielleicht nicht so dumm, denn die Ausstellung im Obergeschoss verleiht fast Flügel. Und die großartige Aussicht aus den vielen Fenstern macht Lust aufs Fliegen.
Die Königin hat die Schnur durchgeschnitten
Die beiden letzten Oktober-Wochen dieses Jahres waren lebhaft. Zumindest in Oslo und besonders auf den Kulturseiten der Osloer Presse, in der Online-Kunstpresse und unter den vielen, die gefesselt sind von dem Mann hinter einigen unserer nationalen Ikonen.
Als König Harald in einer informellen Zeremonie die Eröffnungsrede hielt, sollen rund 10 000 Personen außerhalb von MUNCH gewesen sein. Das Seilschneiden überließ er KöniginSonja, die seiner Meinung nach dafür besser qualifiziert sei. Die Königin hat eine gemeinnützige Galerie in derselben Gegend und ist auch als darstellende Künstlerin bekannt.
Die Tickets für das Eröffnungswochenende waren schnell ausverkauft, 15 000 Zuschauer sollen an diesem Wochenende MUNCH besucht haben. Im Freien waren Tickets nicht nötig. Bis 23 Uhr füllte das Museum das Areal mit zwei Freilichtbühnen durch musikalische Elemente und Überraschungen. Der gesamte Stadtteil Bjørvika war beteiligt und feierte den Tag.
Auch Kronprinz Haakon, Kronprinzessin Mette-Marit, Premierminister Jonas Gahr Støre (Arbeiterpartei) und Außenministerin Anniken Huitfeldt (ebenfalls Arbeiterpartei) waren bei der Eröffnung anwesend. Mette-Marit hatte am 14. Oktober 2016 den Grundstein für das Museum gelegt.
In seiner Rede sagte der König unter anderem: „Ich denke, ich kann im Namen aller sagen, dass wir uns auf diesen Tag gefreut haben. Endlich können wir uns versammeln, und bald werden wir die Türen zu einer neuen Attraktion betreten, nicht nur in unserer Hauptstadt, sondern in Norwegen und auf der ganzen Welt.“
Ist alle Werbung gute Werbung?
Man könnte fast meinen, dass hinter allem, was seit Munchs Tod 1944 passiert ist, eine Idee oder eine PR-Strategie steckt. Politische Meinungsverschiedenheiten und teilweise schlechtes politisches Handwerk gibt es, seit man sich nach dem Krieg auf Munchs Testament beziehen musste und lange nachdem die Bagger dort waren, wo das Museum entstehen sollte.
Jahrzehntelang wurden die Gemälde vernachlässigt, niemand übernahm dafür die Verantwortung. Munchs Wunsch war klar: Mit Ausnahme einiger Geldsummen und einiger Drucke an nahe Verwandte sollte alles, was er zurückließ, von der Stadt Oslo (damals Aker kommune) übernommen werden. Absolut alles!
Das Testament enthielt jedoch einige strenge Voraussetzungen für die Verwaltung der Kunstobjekte und des sonstigen Vermögens. Erst als 1963 ein Museum für Munch im Stadtteil Tøyen eröffnet wurde, kam eine gewisse Ordnung. Dann war es eine Weile an sich ruhig, obwohl es immer etwas gab, worüber man sich nicht einig war.
Höhe, Sponsoren und Aufzüge
Dann gab es echte Aufregung. Zunächst, als Estudio Herreros 2009 Sieger des Architekturwettbewerbs wurde. Und dann mit neuen Höhen in den Wochen vor und nach der Eröffnung, als auch ausländische Journalisten sich anmeldeten.
Es sind die gleichen Elemente, die sich wiederholen. Die Höhe, die Krümmung von 20 Grad in der neunten Etage und die Tatsache, dass Kunstmuseen meist horizontale Lösungen zeigen. Dieses Museum ist vertikal. Und das mit diesen Maßen! Dazu dreizehn Stockwerke! Ferner unzählige Rolltreppen und Aufzüge.
Und da sind noch die Sponsoren.
Mehrere haben bemerkt, dass das MUNCH unter den Sponsoren die Ölkonzerne Idemitsu und Aker BP hat, und finden das schlecht. So offenbar auch die Chefredakteurin Mariann Enge der Online-Zeitung Kunstkritikk. Schlimmer noch, findet sie und mehrere andere, dass das Museum bereitwillig für die Elektroauto-Marke Polestar wirbt. „Ob Henrichsen Museumsdirektor oder Autoverkäufer ist, kann man sich fast fragen“, schreibt sie.
Das Gebäude ist da!
Und dann sind da noch innen die grauen Böden und die recycelten Wandverkleidungen außen, ebenfalls grau. Da ist viel zu diskutieren, oft mit lauter Stimme und deutlichen Worten.
Die Kunstkritikerin des staatlichen Rundfunksenders NRK, Mona Pahle Bjerke, schrieb, das Gebäude sei „eine Narbe in Oslos Gesicht (...) Das neue Munch-Museum ist ein graues Industrie- und hässliches Hochhaus." Auch Oliver Wainwright in The Guardian ist sehr wenig begeistert und schreibt in seiner Zeitung, das Gebäude sei ein Traum für jeden, der den perfekten Ort für das Hauptquartier des klassischen Filmschurken suche.
Erling Dokk Holm ist Architekturfachmann der Zeitung Aftenposten. Er hat ein Gespür dafür, die Dinge von mehreren Seiten zu sehen. Er ist weder mit dem Äußeren noch mit der Lage zufrieden. Aber er sagt mit Bedacht: „Nun steht das Gebäude hier. Es muss auch im Inneren erlebt werden, und dort ist es erhebend. Wenn Sie das Gebäude betreten, ist es, als ob das gesamte Äußere verschwindet.“
Dreizehn Etagen, oben eine Bar, eine großzügige Bibliothek, Stockwerk um Stockwerk mit anspruchsvollen Ausstellungen, und das auf einer Fläche, die fünfmal so groß ist wie die Fläche im alten Museum. Merkwürdigerweise ist die perforierte Aluminiumfassade von innen schön und funktional. Wenn Sie an einem Fenster stehen, können Sie feststellen, wie die Fassade Sonnenschutz bietet, ohne die Aussicht zu ruinieren.
Epilog
Um im positiven Ton Dokk Holms fortzufahren, fügt der Oslo-Korrespondent des „dialog“ der Deutsch-Norwegischen Gesellschaft gern etwas hinzu. Das Museum, was immer man von Rolltreppen und Aufzügen halten mag - es soll nicht unterschätzt werden, dass es durchaus gut organisiert zu sein scheint. Es ist leicht, sich zu orientieren, und man kommt leicht von A nach B, ganz zu schweigen von A nach Ü.
In der Sammlung des Hauses gibt es, soweit ich weiß, nichts anders als echte Munch-Bilder, also keine Kopien. Alles ist von Munch signiert. Der berühmte „Schrei“ ist dabei als Malerei, Graphik und Zeichnung. Offenbar sind die meisten der Motive Munchs präsent. Er hat von ihnen fast immer mehrere Versionen gemalt.
Zum Schluss noch etwas Positives. In einem Debattenbeitrag in Aftenposten geht die Architektin Åshild Wangensteen Bjørvivk noch weiter: „Fast niemand mag das Gebäude, und ich finde die Provokation absolut wunderbar. Das mag für einen Künstler wie Munch das einzig Richtige sein.“
Sie schließt so: „Ich denke auch, dass Munch und seine Kunst und die Aufmerksamkeit, die sie in den kommenden Jahren erhalten wird, uns lange bevor wir die Diskussion über dieses Gebäude beendet haben, bei den konformistischen und engstirnigen Osloer Bürgern gründlich in Position bringen wird.“
Auf Norwegisch liest sich das so: „Så tror jeg også at lenge før vi er ferdig med å diskutere dette bygget, så vil Munch og kunsten hans, og oppmerksomheten den vil få i årene fremover, sette oss konforme og sneversynte Oslo-borgere.“
Denn Munch war – und ist – größer als wir alle zusammen. ■
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Rolf Stenersens Beziehung zu Edvard Munch
Edvard Munch hatte enge, ihm wichtige Unterstützer, so den Kunstsammler und Geschäftsmann Rolf Stenersen (1899-1978). 1936 schenkte Stenersen seine Sammlung von etwa 900 Werken der Stadt Oslo (damals Aker). Diese Werke sind heute Teil der Sammlung des Munch-Museums. Das Stenersen-Museum befand sich von 1994 bis 2015 in Vika in Oslo. Darüber klärt auch die Website des neuen Museums MUNCH auf: https://www.munchmuseet.no
Stenersens Familie wollte sich danach aus dem Munch-Vertrag zurückziehen. Aber nach gegenwärtigen Zeitungsartikeln sieht es aus, als sei die Familie mit der neuen Lösung zufrieden. Im Museum MUNCH ist Stenersens Sammlung derzeit mit 39 Werken auf einer separaten Etage sowie Leihgaben aus den Privatsammlungen von Nicolai Tangen und Stein Erik Hagen vertreten.
Die Sammlung Rolf Stenersens begann mit Munch, wurde aber nach und nach um eine Vielzahl von Werken junger Künstler der damaligen Zeit erweitert. Darunter waren Olav Strømme, Kai Fjell, Ludvig Karsten, Reidar Aulie, Rolf Nesch und Jakob Weidemann. Mehrere von ihnen wurden direkt oder indirekt von Munch beeinflusst, der Stenersen auch Ratschläge gab, auf welche Künstler er sich konzentrieren solle. ■
Die Sammlungen in Zahlen
Das Museum bewahrt 28 000 Kunstwerke in vier Sammlungen, nämlich zu Munch und die der Sammler Rolf Stenersen, Amaldus Nielsen und Ludvig O. Ravensberg.
Das Wichtigste sind 26 724 Munch-Werke, unterteilt in über 1200 Gemälden, 705 Zeichnungen und Skizzen sowie 18 322 Grafikblätter, verteilt auf 842 verschiedene Motive.
Dazu kommen 14 Skulpturen, ferner sehr viele Originalfotos Munchs, Druckplatten und Lithografiesteine, außerdem Tausende von Texten und Briefen sowie 9830 persönliche Gegenstände.
Ein kleiner Einblick in das Museum erwartet Sie hier!
Unser Autor: Sven Otto Rømcke (Jahrgang 1948) ist seit 1990 als selbstständiger Kommunikationsberater tätig.
Zuvor war er Kommunikationschef bei der norwegischen Tochtergesellschaft eines internationalen Beratungsunternehmens.
Er arbeitete auch als Journalist und in den Herausgeberverbänden der norwegischen Tages- und Wochenpresse.
Mit dem alten DNG-ler Eckart Roloff ist er seit 1980 befreundet; er hat ihn vor allem bei dessen norwegischer Medienforschung sehr unterstützt.
Foto: Mette Myhre