Anzeige:

Moutoux online

Der Karikaturist und Maler Olaf Gulbransson: Ein Künstler zwischen Norwegen und Bayern –
Bayern und Norwegen. Eine neue Biografie zeichnet sein Leben nach

Von Heinrike Paulus

„Olaf Gulbransson war ein großer Liebender, ein Liebender des Lebens, der Menschen, der Natur, der Kunst – und natürlich auch der Frauen“, sc1 gulbransson privat 2hreibt der Literaturwissenschaftler Gerd Holzheimer zu Beginn der neuen, lesenswerten Biografie über den genialen Zeichner, Maler und renommierten Karikaturisten (1873-1958). Sie ist die erste, die das gesamte Leben des Künstlers in den Blick nimmt, der voller Widersprüche steckte, sich gern inszenierte und nie an Konventionen hielt.

Im Herbst 1902 holte der Verleger Albert Langen den jungen Norweger „in die südliche Stadt“ – wie Gulbransson die bayerische Stadt München einmal nannte – zur berühmten Satire-Zeitschrift „Simplicissimus“. Er sollte ihr berühmtester Mitarbeiter werden; über 2400 Zeichnungen im Laufe von 42 Jahren entstanden. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte sich Gulbransson bereits in seiner norwegischen Heimat durch erste Veröffentlichungen in Satire-Zeitschriften wie „Trangviksposten“ einen Namen gemacht. Knut Hamsun, Bjørnstjerne Bjørnson und Edvard Munch gehörten zu seinen Freunden und Förderern.

Bis heute begeistert viele Gulbranssons klarer und eindeutiger Strich. Ihm gelang es, einen Menschen mit wenigen, ausgewählten Strichen zu charakterisieren, ohne ihn dabei zu verletzen: „Übrigens verstehe ich nicht, warum die Leute böse über Karikaturen sind. Ein Gesicht, das sich nicht karikieren lässt, widert mich an. Es kommt daher, dass es überhaupt keinen Ausdruck hat.“ Seine minimalistischen Zeichnungen waren für ihn „Lebenselixier“ und „bevorzugtes Kommunikationsmittel“.

Auf seine Zeitgenossen soll Gulbransson imposant gewirkt haben und war doch nicht einmal 1,80 Meter groß. Im Sommer lief er am liebsten nackt herum, galt als ausdauernder Trinker, Schwimmer, Skifahrer und kostete die sinnlichen Genüsse des Lebens aus.
2 gulbransson schwimmend 2

Der Tegernsee, rund 50 Kilometer südlich von München, wurde für den Künstler zur Wahlheimat. Im Winter 1902 kam er das erste Mal dorthin. Rasch gelang es ihm, ein Paar Ski zu ergattern. Von einem Bauern lieh er sich außerdem Planken,  um eine Sprung-schanze – oder „Spring“ wie Gulbransson sie bezeichnete – zu bauen. Es war die erste in Bayern überhaupt, wie Gerd Holzheimer beim Deutschen Alpenverein herausfinden konnte. „Tatsächlich wird später, 1948, genau an dieser Stelle eine wirkliche Schanze gebaut.“

Doch Gulbransson gelangen die Sprünge nicht wirklich, was aus den Erinnerungen seines „Simplicissimus“-Kollegen Korfiz Holm (1872-1942) zu schließen ist: „Ich sah mit Staunen zu, wie er dann auf den Skiern aus dem Wald hervorgeschossen kam, sich plötzlich in die Luft vorschnellte und dann, alle Viere steif von sich gestreckt, am Hange förmlich Räder schlug. Denn ein »gestandener Sprung« ist ihm hier nicht ein einziges Mal geglückt, dafür war ja der Auslauf viel zu steil.“

Dem Skispringen widmete Gulbransson zudem einige Zeichnungen, darunter eine Titelseite einer Wintersport-Spezialausgabe des „Simplicissimus“ von 1910. 3 skispringer druck 2Aus seiner Feder stammte zudem eine anlässlich der Olympischen Winterspiele in Lillehammer 1994 herausgegebene Sonderbriefmarke. Sie zeigt den norwegischen Skispringer Birger Ruud, wie er bei den Olympischen Winterspielen 1936 in Garmisch-Partenkirchen zur Goldmedaille springt.

Irgendwie scheint es, als sollte ihn die Welt des Skisports nicht so ganz loslassen – selbst in Norwegen. Oberhalb von Oslo lebte er in der Nähe des Holmenkollen in einem Haus mit seiner dritten Ehefrau Dagny. Erst 22 Jahre war die Enkelin des norwegischen Dichters Bjørnstjerne Bjørnson, als sie den 50-jährigen Künstler 1923 heiratete. Was ursprünglich als dreiwöchige Hochzeitsreise geplant war, wurde zu einem vierjährigen Aufenthalt in Norwegen. Ein Beleg dafür, wie sehr Gulbransson das Land und „seine geliebten Wälder“ vermisst haben muss.
4 gulbransson oslofjord 2
1927 kehrte er nach München zurück. Ein altes Bauernhaus – der Schererhof – oberhalb des Tegernsees wurde zwei Jahre später sein neues Künstlerdomizil. „Ich wohne hier in einem kleinen Stück Norwegen [...] Der Tegernsee, das ist mein Fjord.“ Hier starb der „Norwegische Troll in Bayern“, wie er auch genannt wurde, 1958 im Alter von 86 Jahren.

Acht Jahre nach seinem Tod wurde das nach ihm benannte Museum im Kurgarten in Tegernsee eröffnet. Entworfen hatte es der bedeutende Architekt Sep Ruf (1908-1982), den auch der Bonner Kanzlerbungalow bekannt machte. Betrieben wird das Museum von der Olaf-Gulbransson-Gesellschaft; es ist eine Zweiggalerie der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München. Das Museum nimmt Gerd Holzheimers aktuelle Publikation zum Anlass, die Dauerausstellung Stück für Stück zu aktualisieren und neu zu bebildern. „Ziel ist es, den Menschen Olaf Gulbransson vorzustellen“, sagt die Leiterin der Provenienzforschung der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Andrea Bambi.

2023 steht dem Kunstmuseum ein Jubiläum ins Haus. Schließlich gilt es Gulbranssons 150. Geburtstag zu feiern. Eine neue Ausstellung soll vor allem Werken aus Privatbesitz zeigen. Gerade ist die promovierte Kunsthistorikerin Andrea Bambi auf der Suche nach entsprechenden Exponaten und freut sich über entsprechende Unterstützung: „Wer Kenntnis hat über Werkbestände in Privat- oder Museumsbesitz in Deutschland und Norwegen, darf sich sehr gerne bei uns melden.“
(Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.).
Die neugestaltete Dauerausstellung und auch Holzheimers Biographie sparen die Rolle Gulbranssons in der Zeit des Nationalsozialismus nicht aus. In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" im Dezember 2021 äußerte sich der Autor über die widersprüchliche Rolle des Künstlers in dieser Zeit und wie er diese publizistisch in seinem aktuellen Buch aufzuarbeiten versucht: „Eigentlich habe ich versucht, nicht zu bewerten, auch nichts zu beschönigen oder gar zu vertuschen, aber auch nicht mit dem Moralfinger herumzufuchteln, sondern alles möglichst differenziert darzustellen. Gulbransson war ein sehr widersprüchlicher Mensch. Aber ja, es gibt den Vorwurf, er habe sich etwas arg an die Nazis rangewanzt, was in dieser pauschalisierten Weise nicht zutrifft.“

Vielleicht liegt es auch an dieser Herangehensweise, dass Gerd Holzheimer auf über 300 Seiten einen beeindruckenden, minutiös recherchierten Querschnitt über Leben und Werk d5 gulbransson coverieses Ausnahmekünstlers und gefeierten „Malerfürsten“ geschaffen hat. Bislang unbekannte Briefe und Dokumente sowie zahlreiche Zeichnungen und Fotografien geben Einblicke in Gulbranssons bayerisch-norwegische Seele, die auch Holzheimer beeindruckt:
„Menschlich ist Olaf Gulbransson einer, den man schnell mag – wenn man einen Menschentyp schätzt, der »eigen« ist, sich nicht um Konventionen schert, seinen eigenen Weg geht und doch zugleich ein zutiefst Liebender ist, ein Mordskerl und eine Seele von Mensch.“

Gerd Holzheimer: Olaf Gulbransson. Eine Biographie. Allitera Verlag, München 2021. 327 Seiten. 28,00 Euro.

 

 

 

 

 

****